Frage: Lieber Herr Stier, herzlich willkommen an der Fakultät. Haben Sie vielen Dank, dass Sie sich für das Interview Zeit nehmen und sowohl Studierende wie auch Fakultätsöffentlichkeit etwas mehr über Sie erfahren dürfen.
Warum haben Sie sich für die Universität Mannheim entschieden?
Sebastian Stier: Die Professur ist besonders, denn sie ist eine gemeinsame Berufung zwischen der Universität Mannheim und dem GESIS – Leibniz Institut für Sozialwissenschaften, wo ich gleichzeitig ein Abteilungsleiter der Abteilung Computational Social Science bin. Zwischen den beiden Institutionen gibt es mehrere gemeinsame Berufungen und erfolgreiche Forschungsprojekte, vor allem in der Umfrageforschung. Die Professur ist eine großartige Möglichkeit, diese Kollaborationen zu vertiefen und im Bereich der Computational Social Science auszubauen. Die Zusammenarbeit ist für mich besonders reizvoll, weil die Fakultät für Sozialwissenschaften optimale Bedingungen bietet: einen starken quantitativ-empirischen Schwerpunkt und profilierte Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich gerne zusammenarbeiten möchte. Dazu kommt der interdisziplinäre Ansatz, der im Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) institutionalisiert ist.
Kollaboration stärken und ausbauen. Dies führt uns idealerweise zur zweiten Frage: Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?
Sebastian Stier: Die Computational Social Science ist ein noch junges, interdisziplinäres Forschungsfeld an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Sozialwissenschaften, Informatik und Data Science. Im Wesentlichen besteht Computational Social Science aus zwei Säulen: Zum einen digitale Verhaltensdaten, also große Datensätze, die wir von großen Onlineplattformen oder individuellen Nutzer:innen beziehen. Zum anderen aus einem Methodenkasten, der aus der Informatik kommt und es erlaubt, diese Daten automatisiert, in großem Maßstab auszuwerten. Ein Beispiel wäre Natural Language Processing, also die Verarbeitung von Sprache mit computergestützten Methoden. Mit diesen Instrumenten – also neuen Daten und den automatisierten Verfahren – verfolge ich meine inhaltliche Forschungsagenda. Meine Fragestellungen kommen aus verschiedenen Feldern, legen aber meist einen Schwerpunkt auf den Einfluss der digitalen Medien auf gesellschaftliche und demokratische Prozesse.
Welche Fächer haben Sie studiert?
Antwort: Ich habe an der Universität Heidelberg das Fach Politikwissenschaft studiert und im Anschluss auch dort promoviert. Mein Forschungsschwerpunkt lag bereits während meiner Promotion im Bereich der digitalen Demokratie. Allerdings waren die quantitativen Daten, die ich genutzt habe, überwiegend aggregierte Makrodaten. Mit ihnen konnte man nur limitierte Einblicke darüber erhalten, was „in diesem Internet“ tatsächlich passiert. Aus diesem Grund habe ich mir autodidaktisch Methoden der Computational Social Science angeeignet.
2016 startete ich als Post-Doc bei GESIS in der Abteilung Computational Social Science. Seitdem hat sich das Feld ganz hervorragend entwickelt. Und mit den Entwicklungen im Feld ist mein Forschungsprofil sozusagen mitgewachsen. Ich habe immer wieder neue Literaturen – sei es aus Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft oder Soziologie – mit Computional Social Science-Verfahren erschlossen, sodass ich mittlerweile sehr interdisziplinär aufgestellt bin.
Was ist bisher der größte Unterschied zwischen der Universität Mannheim und GESIS als Forschungseinrichtung?
Antwort: Die beiden Institutionen haben unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Die Universität Mannheim ist primär in Forschung und Lehre tätig. GESIS ist eine forschungsbasierte Infrastruktureinrichtung für die Sozialwissenschaften. Das heißt, dass GESIS sich auch als Serviceanbieter versteht: Methoden, Tools und Daten für die sozialwissenschaftliche Community bereitzustellen. Deshalb sind diese gemeinsamen Berufungen sehr sinnvoll. GESIS ist in die universitäre Forschung eingebunden und kann daran als Infrastruktureinrichtung auch die Services ausrichten und verbessern. Ein Win-Win für beide Seiten.
Wer ist ihre Lieblingsband oder Lieblingssänger*in?
Antwort: Ich höre sehr regelmäßig Musik, weil ich viel im Zug sitze. Mein Musikgeschmack ist stark algorithmisch beeinflusst, also der Streaminganbieter meines Vertrauens empfiehlt mir immer wieder neue Musik und trifft dabei oft meinen Geschmack. Tatsächlich wurde mir vor kurzem ein Jahresrückblick zugeschickt. Anscheinend ist Indie Rock bei mir ein starker Schwerpunkt, mit etwas speziellen Einschlägen wie Fußballgesänge, die durch meine Kinder bedingt sind. Das Profil war insofern bunt gemischt, ohne dass ich spezifische Lieblingsbands vorweisen könnte.
Mit welcher berühmten Persönlichkeit würden Sie gerne in die Mensa gehen?
Antwort: Da dies ein fiktives Szenario ist, erweitere ich dieses freizügig auf Persönlichkeiten, die schon verstorben sind. Gerade für den Seminar-Kontext fände ich es unglaublich spannend, mit Demokratietheoretikern und -theoretikerinnen der 1930-1940er Jahre zu gegenwärtigen Tendenzen in etablierten Demokratien zu sprechen. Es wäre interessant zu erfahren, was beispielsweise Hannah Arendt zu sagen hätte zu derzeitigen Polarisierungstendenzen oder einer Massenmobilisierung, die auch demokratiegefährdend sein kann. Ich würde mich gerne mit ihr und Studierenden darüber unterhalten, welche Parallelen sie zur deutschen Geschichte sieht. Sie könnte aufgrund ihrer Erfahrungen in der Weimarer Republik bestimmt Handlungsempfehlungen formulieren, wie man trotz Krisenszenarien den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren kann. Umso besser, wenn es dazu gutes Essen in der Mensa gibt.