Interview mit Prof. Dr. Corina Aguilar-Raab, Lehrstuhl für für Klinische Psychologie, Interaktions- und Psychotherapieforschung
Wieso haben Sie sich für die Universität Mannheim entschieden?
Ich habe mich aus drei Gründen für die Universität Mannheim entschieden. Erstens wegen der inhaltlichen Ausrichtung. Der Schwerpunkt auf Sozialwissenschaften entspricht meinen Forschungs- und Praxiszielen. Zweitens bieten die strukturellen Voraussetzungen an der Universität Mannheim viele Vorteile. Die Wissenschaftsinfrastruktur ermöglicht es, meine Kernziele in Forschung, Lehre und Patientenversorgung voranzutreiben. Drittens ist der Standort ideal. Dies gilt sowohl für die Kolleg*innen im Fachbereich als auch für Kooperationen. Es gibt viele Dinge, die mir in die Karten spielen, über die ich mich sehr freue, obwohl man nicht alles in der eigenen Hand hat.
Was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?
Im Mittelpunkt meiner Forschung steht die Beziehungsqualität. Ich untersuche soziale Interaktionen im Kontext von Gesundheit und psychischen Störungen. Mich interessiert, welche Bedeutung beispielsweise Angehörige oder generell die Gestaltung von Beziehungen sowie emotional-soziale Kompetenzen auf eine Intervention bzw. Psychotherapie haben. Ich frage danach, wie herausfordernde (Lebens-)Situationen etwa mit der Hilfe von Emotionsregulation, Selbstregulation und sozialen-emotionalen Kompetenzen bewältigt werden können. In welcher Verbindung stehen Werte und Ziele, die man im Leben verfolgt, mit dem Bedürfnis des Menschen als sozial integriertes Wesen zu handeln. Wie können wir uns gesund – psychisch und physisch – unseren Zielen widmen?
Ein zweiter, wichtiger Aspekt meiner Forschung widmet sich der contemplative science und seinen Praktiken. Das klingt auf den ersten Blick abstrakt. Wenn man hört, welche Konzepte sich dahinter verbergen, wird es gleich greifbarer. Am bekanntesten sind Achtsamkeit und Mitgefühl. Ich begreife sie als Qualitäten und Techniken. Sie tragen dazu bei, Veränderungen herbeizuführen, die sowohl individuellen wie auch sozialen Zielen dienen. Außerdem erforsche ich Outcome- und Prozessfaktoren in der Psychotherapieausbildung. Mit meinen Mitarbeiter*innen stelle ich Überlegungen an, wie Symptomreduktion mit der Qualität der therapeutischen Allianz verknüpft werden kann. Mein vierter Forschungsschwerpunkt liegt auf der Messung und der Identifizierung von Alltagsindikatoren für Therapieerfolg. Schließlich widme ich mich den Grundlagen und Mechanismen in der Psychotherapieforschung, insbesondere bindungsrelevanten, stresssensitiven und immunsensitiven Parametern sowie ätiopathogenetischen Faktoren und ressourcenorientierten Ansätzen. In Mannheim plane ich, diese Forschungsbereiche weiterzuentwickeln und freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Studierenden.
Welche Fächer haben Sie studiert?
Ich habe Diplom-Psychologie in Heidelberg studiert. Nach dem Studium habe ich unterschiedliche Interessengebiete vertieft und mich auf zwei Fachgebiete spezialisiert. Zum einen die tiefenpsychologisch fundierte und zum anderen die systemische Psychotherapie. Für beide Bereiche besitze ich die Approbation. Darüber hinaus habe ich Fortbildungen zu Achtsamkeit und Mitgefühl absolviert. Zum Beispiel am Center for Contemplative Science and Compassion-Based Ethics in Atlanta, USA. Ein weiteres Interessensgebiet von mir ist Palliativ- oder End-of-Life-Care, sowohl für ältere Menschen als auch für Personen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen. Zusätzlich engagiere ich mich in einem Projekt namens See-Learning. Es konzentriert sich auf sozial-emotionales und ethisches Lernen im Bildungsbereich. Ich habe einen engen Bezug zu Asien, vor allem Indien, Südostasien und auch Nepal. Einige Zeit habe ich in Nepal verbracht, wo ich in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer ambulanten Einrichtung für psychisch beeinträchtigte Menschen gearbeitet habe. Diese Erfahrung war für mich besonders prägend. Ich kann mich sehr genau an alle Details erinnern.
Was ist bisher der größte Unterschied zwischen der Universität Mannheim und Ihrem vorherigen Arbeitsplatz?
Der Unterschied zwischen Heidelberg und Mannheim ist nicht wahnsinnig groß. Man kann ihn am besten über die institutionelle Zugehörigkeit und Aufgaben beschreiben. In Heidelberg war ich an der medizinischen Fakultät der Universität tätig. Ich habe in der Medizinpsychologie gelehrt. Das ist ein Lehrfach für Medizinstudierende im vorklinischen Abschnitt. Darüber hinaus war ich eng verbunden mit der psychologischen Fakultät. Zum Beispiel habe ich in der Bildungspsychologie gelehrt und psychologisches Wissen Lehramtsstudierenden vermittelt. In Mannheim gehöre ich zur Fakultät für Sozialwissenschaften. Einige der Forschungsschwerpunkte aus der medizinischen Psychologie werde ich hier weiterverfolgen. Ein neuer Schwerpunkt in Mannheim ist die Ausgestaltung des klinischen Masterprogramms. Meine Lehr- und Berufserfahrung – wie zum Beispiel als Vertretungsprofessorin in Kassel – helfen mir dabei.
Wer ist ihre Lieblingsband oder Lieblingssänger*in?
Ich interessiere mich für viele Musikrichtungen und habe ganz viele Lieblingskünstler*innen! Zuletzt war ich auf einem Konzert von Alin Coen, die eine sehr berührende Musik macht, ähnlich wie Agnes Obel. Dota Kehr, auch als Kleingeldprinzessin bekannt, ist eine weitere Künstlerin, die mich fasziniert. Aktuell höre ich auch gerne Soul Music, – auch zusammen mit meinen Kindern – insbesondere von Andreya Triana. Diese Künstlerinnen inspirieren mich momentan sehr.
Mit welcher berühmten Persönlichkeit würden Sie gerne mal in die Mensa gehen und warum?
Um ehrlich zu sein, musste ich bei dieser Frage lachen. Mich interessiert nicht, ob jemand berühmt ist. Mich interessieren Menschen, die leidenschaftlich für eine Sache brennen. Mir fallen als erstes Friedensnobelpreisträger*innen ein, die sich für den gesellschaftlichen Wandel und ein friedvolles Miteinander einsetzen. Malala Yousafzai, eine junge Frau, die für Bildungsgerechtigkeit kämpft, ist eine inspirierende Persönlichkeit. Salman Rushdie, der wegen seiner gesellschaftskritischen Position auch persönlich angegriffen wurde, fasziniert mich ebenfalls. Ich hatte bisher wenig persönlichen Kontakt zu solchen Menschen. Daher würde ich gerne mehr über ihre Motivation und Überzeugungen erfahren. Ich würde sie fragen, und dazu müsste man nicht unbedingt in die Mensa gehen, welche innere Überzeugung sie bewegt. Ich würde versuchen, die Person hinter der Berühmtheit kennenzulernen.
Sich für eine gute Sache einzusetzen, liegt mir sehr am Herzen. Das kann man vielleicht auch ein bisschen mit dem Lehrstuhl. Spannend fände ich, wenn ein solches Treffen nicht exklusiv wäre, sondern offen für Studierende, Personal und andere Beteiligte. Mich inspiriert, gemeinsam Dinge voranzutreiben und Begegnungsräume zu schaffen. Das heißt, nicht nur dem genuinen, wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zu dienen. Ich freue mich darauf, mich zu den großen Fragen mit den Studierenden auszutauschen und sie gemeinsam zu reflektieren.