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Pipi, Hunger, kalt – Eltern am Limit

Von einem Tag auf den anderen waren sie nicht mehr nur Mama und Papa, sondern auch Lehrer und 24-Stunden-Kinderbetreuung. Die eigene Wohnung muss als Spielplatz und Büro gleich­zeitig herhalten – bei vielen Eltern gingen die vergangenen Wochen an die Substanz. Wie der Arbeits­alltag im HomeOffice mit Kind aussieht und welche Strategien sie entwickelt haben, um die neue Situation zu meistern, haben uns Mütter und Väter erzählt.

6:30 Uhr – Zeit zum Aufstehen für Christiane Englert, Sekretärin in der Abteilung VWL. Das Prozedere im Bad fällt kürzer aus als vor Corona, stattdessen bearbeitet sie schon mal die ersten E-Mails bis nach und nach der Rest der Familie aufsteht. Um acht Uhr hat ihr zehnjähriger Sohn schon die ersten Videokonferenzen mit seinen Lehr­ern. Nach dem Frühstück wird der Esszimmertisch zum Büro umfunktioniert, dann sitzt Christiane Englert zusammen mit ihrem Mann bei der Arbeit – von Montag bis Freitag. „Ich achte sehr stark darauf, dass der Tag eine gewisse Struktur hat – das habe ich anfangs unter­schätzt. Ganz schnell ist Nachmittag und es stellt sich das unwohle Gefühl ein, nicht alles geschafft zu haben“, sagt sie.

Struktur heißt auch, die Arbeit aufteilen. Zuhause bei Christiane Englert übernimmt sie die Schulaufgaben mit ihrem Sohn. „Das war auch schon vorher so, deshalb sind wir bei diesem System geblieben. Außerdem habe ich als Sekretärin immer auf dem Schirm, wann was erledigt sein muss, das ist einfach in mir drin. Anstatt des Terminkalenders meines Chefs ist nun auch noch der meines Kindes dazugekommen“, sagt sie und lacht. Plötzlich Lehr­erin sein und auf alles eine Antwort haben zu müssen – nicht immer sei das einfach. „Man muss die Kinder sehr stark zum Lernen motivieren, auch wenn man vielleicht gerade selbst nicht so motiviert ist“, erzählt Englert. „Da war die Verzweiflung bei vielen Eltern groß. Jetzt hat es sich aber eingependelt und wir sind in die neue Rolle hineingewachsen.“

Wenn Christiane Englerts Wecker rappelt, klingelt zeitgleich auch der von Stefanie Kautzmann, Geschäfts­führerin der WIM-Fakultät. Sie arbeitet Vollzeit und ist seit der Geburt ihrer sechsjährigen Tochter alleinerziehend. Ohne fremde Hilfe Job und Kind unter einen Hut zu bringen, ist sie gewohnt – trotzdem ist es dieses Mal anders. Abends bringt sie die Tochter später als sonst ins Bett, damit sie ein paar Stunden länger schläft. „Nach dem Frühstück darf sie Kindersendungen schauen, so gewinne ich nochmal eine Stunde dazu. Anders geht es nicht, egal, ob das jetzt pädagogisch sinnvoll ist“, sagt sie. „Momentan muss man die Kindererziehung einfach etwas entspannter angehen und sich gegenseitig Freiräume lassen.“

Einmal pro Woche fährt Stefanie Kautzmann mit der Tochter ans Dekanat. Dann darf sie helfen, die Post zu holen, Dokumente einzuscannen und die Blumen zu gießen – eine gelungene Unter­brechung des Alltags. Sonst ist in ihrem Büro immer viel los. „Egal wie schön es ist, sich mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort auszutauschen, ist die jetzige Situation doch ein Zeitgewinn“, sagt Stefanie Kautzmann. „Zuhause über ‚Teams‘ laufen die Gespräche viel konzentrierter und kürzer ab als im Büro, bei gleichem Inhalt.“ Was sich noch geändert hat? Kautzmann priorisiert noch stärker ihre Aufgaben, plant weiter voraus und versucht dabei flexibel zu bleiben. „Konzentriert durcharbeiten geht nicht. Und damit gibt es auch keine richtigen Feierabende und Wochenenden. Meine Pausen nehme ich mir meist nachmittags, dann gehen meine Tochter und ich gemeinsam nach draußen oder spielen“, sagt sie.

Konzentriert durcharbeiten – das funktioniert auch bei Martin Stachniss nicht ohne Weiteres. Freunde oder gar Oma und Opa besuchen, ist derzeit Tabu. Inmitten der heimischen Großraumbüro-Atmosphäre wechseln sich er und seine Frau deshalb mit der Kinderbetreuung des dreijährigen Sohnes ab. „Dadurch verteilt sich die Arbeit auf den ganzen Tag und verschiebt sich logischerweise auch in die Abendstunden“, sagt er. Manchmal komme er dabei an seine Grenzen, wenn das Telefon an einer Tour klingelt und er gleich­zeitig ein weinendes Kind beruhigen muss. „Auch für Kinder ist es gerade extrem hart. Seit fünf Wochen sind sie nur mit Mama und Papa zusammen, vermissen ihre Freunde und Kita“, sagt er. „Dass meine Kolleginnen und Kollegen so viel Verständnis für diese Situation haben, auch dafür bin ich sehr dankbar.“

Das weiß auch Lukas Dausend zu schätzen. Er ist Auslands­koordinator, ständiges Personalrats­mitglied und Vater von drei Kindern zwischen zwei und neun Jahren. „Ich habe großes Glück, dass meine Frau sich komplett um die Kinder kümmert, trotzdem wäre die Situation für sie katastrophal gewesen, hätte ich nicht von zuhause aus arbeiten und sie mit den Kindern unter­stützen können“, sagt er. Die sind froh, ihren Papa öfter zu sehen – auch, wenn er währenddessen arbeiten muss. Mehr Zeit zusammen mit der Familie – das ist eines der positiven Dinge, die der derzeitige Ausnahmezustand bietet. „Ich denke, wir haben alle bewiesen, dass wir selbst in Extremsituationen unsere Arbeit von zuhause aus erledigt bekommen. Ich hoffe deshalb, dass die Universitäts­leitung darüber nachdenken wird, die Home-Office-Regelung in Zukunft auszuweiten.“ (ND)

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