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Interview mit Müttersprache e. V.

In diesem Interview gibt Maja Schlag, die Leitung des PR-Teams der Mannheimer Initiative Müttersprache e. V., wertvolle Einblicke in die Arbeit der Organisation und erklärt die zentralen Ziele des Vereins.

Wie kam es zu der Entstehung ihrer Initiative?

Also, „Müttersprache“ ist im Grunde ein Projekt, das Frauen – vor allem Müttern – kostenlosen Deutsch­unter­richt anbietet und parallel eine Kinderbeaufsichtigung organisiert. Das Ziel ist, die Frauen bis zum B1-Zertifikat zu begleiten.

Die Idee dazu kam, weil uns nach der Flüchtlingskrise aufgefallen ist, dass viele geflüchtete Mütter kaum Möglichkeiten haben, Deutsch zu lernen. Es gibt einfach zu wenige Betreuungs­plätze, viele Kursangebote sind nicht auf Mütter ausgerichtet. Das macht es natürlich doppelt schwierig, wenn man kleine Kinder hat. Leider ist es ja immer noch oft so, dass die Kinderbetreuung hauptsächlich an den Frauen hängenbleibt. Unsere Über­zeugung war und ist, dass Integration mit Sprache beginnt. Wer die Sprache spricht, kann sich ein Netzwerk aufbauen, neue Leute kennenlernen und wirklich teilhaben. Und genau das soll für alle möglich sein – unabhängig von der Lebens­situation.

Gegründet haben wir Müttersprache 2017, damals noch als Teil des Vereins Nice to meet you. Seit 2023 sind wir ein eigenständiger Verein. Die Initiative kommt aus Mannheim und wurde ursprünglich von Studentinnen der Uni Mannheim ins Leben gerufen.

Welche langfristige Vision verfolgt ihr mit eurer Initiative?

Unsere langfristige Vision ist es, zur gesellschaft­lichen Gleich­stellung von Frauen beizutragen, Integrations­arbeit zu leisten und Rassismus, Diskriminierung sowie Fremdenfeindlichkeit abzubauen.

Konkret geht es darum, Frauen den Zugang zu Bildung und zum Arbeits­markt zu ermöglichen, damit sie finanz­iell und persönlich unabhängiger werden. Gleich­zeitig schaffen wir einen Raum, in dem Frauen unabhängig von ihrer Herkunft neue Kontakte knüpfen können, was für den Integrations­prozess besonders wichtig ist. Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle. Ein Sprach­zertifikat ist oft Voraussetzung für eine Aufenthaltsgenehmigung oder den Einstieg in den Arbeits­markt. Wir übernehmen außerdem die Kosten für die offizielle Prüfung. Insgesamt bewegen sich unsere Teilnehmerinnen im Bereich von A1 und A2 bis hin zum B1-Niveau, um ihnen bessere Zukunftsperspektiven zu eröffnen.

Wie finanz­iert ihr eure Projekte? Gibt es besondere Förder­programme oder Sponsoren, die euch unter­stützen?

Unser Projekt wird vollständig ehrenamtlich getragen, weshalb Spenden für uns eine zentrale Rolle spielen, um die langfristige Finanzierung sicherzustellen. Die einzige bezahlte Position in unserem Team ist die administrative Projektkoordination, die von einer studentischen Hilfskraft übernommen wird. Ansonsten arbeiten alle Beteiligten ehrenamtlich.

Wir erhalten Unter­stützung aus verschiedenen Quellen. Es gibt Privatpersonen, die uns regelmäßig fördern, aber auch viele Unter­nehmen und Stiftungen, die uns mit einmaligen Spenden unter­stützen. Zu den Förderern gehören unter anderem die Ferry-Porsche-Stiftung und Prisma Language Solutions. Auf unserer Webseite geben wir einen Einblick in unsere Förderer und Unter­stützer.

Zusätzlich sind Preise eine wichtige Einnahmequelle für uns. Wir bewerben uns regelmäßig bei Wettbewerben, bei denen nicht nur finanz­ielle Mittel vergeben werden, sondern auch Aufmerksamkeit für unser Projekt entsteht. Im letzten Jahr haben wir beispielsweise den Hidden Movers Award der Deloitte Stiftung gewonnen. Mit diesem Preis werden fünf zukunfts­orientierte Bildungs­projekte für junge Menschen ausgezeichnet. Ein weiterer Preis, den wir erhalten haben, ist der Held der Straße der Mannheimer Bürgerstiftung. Gerade diese Auszeichnungen helfen uns dabei, unser Projekt weiter auszubauen und neue Unter­stützerinnen und Unter­stützer zu gewinnen.

Wie schafft ihr es, Studierende und andere Interessierte für eure Initiative zu begeistern und langfristig zu binden?

Ich denke, das Wichtigste ist, erst einmal zu vermitteln, warum unsere Arbeit relevant ist und welchen Unter­schied auch ein kleiner Beitrag machen kann. Wir zeigen, dass dieses Ehrenamt nicht nur für die Schülerinnen und ihre Kinder eine große Wirkung hat, sondern auch für die Ehrenamtlichen selbst bereichernd ist.

Um neue Leute zu erreichen, setzen wir auf verschiedene Marketingmaßnahmen. Zu Beginn jedes Semesters gehen wir in Vorlesungen und Seminare an der Uni, um das Projekt kurz vorzustellen. Außerdem gab es schon einige Berichte über uns, zum Beispiel im Mannheimer Morgen und sogar einen TV-Beitrag bei RontTV. Zusätzlich verteilen wir Flyer im universitären Umfeld, um noch mehr Studierende anzusprechen.

Was viele langfristig bindet, ist die persönliche Erfahrung. Unser Projekt schafft Begegnungs­räume – sowohl für die Schülerinnen als auch für die Ehrenamtlichen. Wenn man sieht, welchen Impact die eigene Arbeit hat und sich persönlich motiviert fühlt, bekommt das Engagement noch mal einen ganz anderen Stellenwert. Dann bleibt man mit noch mehr Herzblut dabei.

Welche Möglichkeiten bietet ihr euren Mitgliedern, um sich einzubringen und zu wachsen – sowohl persönlich als auch professionell?

Bei uns gibt es verschiedene Teams, in denen man sich engagieren kann. Zum einen gibt es das Lehr-Team und das Kinderbeaufsichtigungs-Team, das wir intern KIBE nennen. Dann gibt es auch noch verschiedene Bereiche hinter den Kulissen, wie Marketing, Social Media und Fundraising. Das bedeutet, dass sich jede und jeder nach den eigenen Interessen und Fähigkeiten einbringen kann.

Darüber hinaus bieten wir unseren Mitgliedern die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Besonders im Lehr-Team gibt es regelmäßige Workshops und externe Schulungen, um theoretisches Wissen zu vermitteln. In der Praxis geht es dann darum, Unter­richt zu planen, eine Klasse zu managen und Materialien sinnvoll aufzubereiten. Aktuell haben wir zwei Kurse mit jeweils etwa 15 Schülerinnen, sodass der Unter­richt in kleinen Gruppen stattfinden kann.

Gerade für Lehr­amts­studierende ist unser Projekt eine gute Gelegenheit, erste praktische Erfahrungen im Unter­richten zu sammeln. Aber man muss kein Lehr­amtsstudium haben – wir haben Ehrenamtliche aus ganz unter­schiedlichen Alters­gruppen und Hintergründen, dar­unter auch Seniorinnen, die unter­richten. Es gibt ein festes Lehr­werk, an dem sich die Unter­richtsvorbereitung orientiert, sodass keine pädagogische Ausbildung notwendig ist.

Neben fach­lichen Fähigkeiten wie eigenständigem Arbeiten, Teamarbeit oder Leitungs­kompetenzen – insbesondere für diejenigen, die ein Team koordinieren – geht es aber auch um persönliche Entwicklung. Unser Projekt schafft einen Raum für interkulturellen Austausch, der nicht nur den eigenen Horizont erweitert, sondern auch neue Perspektiven eröffnet.

Wie funktioniert die Kinderbeaufsichtigung, besonders vor dem Hintergrund der Sprache?

In unserer Kinderbeaufsichtigung sind Kinder unter­schiedlicher Alters­gruppen. Die Beaufsichtigung ist so gestaltet, dass auf Deutsch miteinander gesprochen wird. In der Praxis funktioniert das meistens ganz gut, und wenn es mal sprach­liche Barrieren gibt, wird eben auch mit Gesten oder spielerischen Mitteln kommuniziert.

Ich selbst war bisher nicht viel in der Kinderbeaufsichtigung tätig, aber aus Erfahrung wissen wir, dass sich immer ein Weg findet, um miteinander in Kontakt zu treten. Die Gruppen­größe variiert je nach Tag. Grundsätzlich gilt jedoch das intern festgelegte Verhältnis von 1:3, also drei Kinder pro Betreuungs­person. So können wir die Kinder besser betreuen und flexibel auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Wie finden die Frauen und Mädchen zu euch? Gibt es bestimmte Anlaufstellen?

Ja, es gibt einige offizielle Stellen in Mannheim, die Frauen an uns verweisen, wenn sie nach Sprach­kursen suchen. Daneben spielt natürlich auch persönliche Weiterempfehlung eine große Rolle. Viele Frauen, die unseren Kurs bereits besucht haben, erzählen anderen davon, sodass sich die Information weiterverbreitet.

Außerdem machen wir selbst aktiv Werbung, zum Beispiel mit Flyern und über soziale Medien. Ein entscheidender Faktor ist, dass unser Kurs kostenlos ist. Oft sind Sprach­kurse mit hohen Kosten verbunden, was für viele eine Hürde darstellt. Wir bieten eine Möglichkeit, diese Barriere zu umgehen, weshalb unser Angebot auch von verschiedenen Institutionen empfohlen wird.

Wie ist die Resonanz auf euer Angebot?

Die Resonanz ist wirklich sehr, sehr gut – fast schon ein bisschen zu gut, könnte man sagen. Leider haben wir viele Frauen auf der Warteliste, die momentan noch nicht teilnehmen können. Sobald jemand den Kurs abgeschlossen hat oder aus persönlichen Gründen nicht weitermachen kann, rücken dann die nächsten Frauen nach.

Da wir aufgrund unserer Kapazitäten nicht mehr Kurse anbieten können, hängt es natürlich von der Anzahl der Ehrenamtlichen ab und aber auch von den verfügbaren Räumlichkeiten, wie viele Frauen wir letztlich aufnehmen können. Deshalb sind wir ständig bemüht, noch mehr Ehrenamtliche zu gewinnen, um möglichst vielen Frauen zu helfen.

Es gibt auch die Möglichkeit, dass man nicht an festen Kurszeiten teilnehmen kann, sondern eine individuellere Beaufsichtigung übernimmt. Wer also beispielsweise am Montag oder Mittwoch nicht kann, kann auch eine eins-zu-eins Betreuung, also ein Sprach­mentoring, anbieten. Dabei kann man sich flexibel auf einen Zeitpunkt einigen – sei es in einem Café oder bei der Schülerin zu Hause – und so intensiver zusammenarbeiten.

Welchen Einfluss glaubt ihr, hat eure Arbeit auf die Universität?

Unsere Initiative hat einen klaren sozialen Fokus, und wir hoffen, dass wir damit ein Bewusstsein an der Universität schaffen – ein Bewusstsein dafür, wie man sich engagieren kann und wie wichtig es ist, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Es geht uns auch darum, den eigenen privilegierten Status zu hinterfragen und zu verstehen, wie man selbst etwas zurückgeben kann.

Ich denke, das ist besonders wichtig in einem Umfeld, das häufig von wirtschaft­lichen und praktischen Aspekten geprägt ist, wie es an vielen Universitäten der Fall ist. Natürlich gibt es an der Uni auch viele Initiativen im Bereich der Wirtschaft, aber gerade soziale Initiativen wie unsere bieten eine wertvolle Ergänzung. Sie schaffen eine andere Perspektive auf Bildung und Weiterbildung und können so zu einem breiteren Verständnis von gesellschaft­licher Verantwortung beitragen.

Kannst du ein Beispiel für einen Moment nennen, in dem ihr wirklich das Gefühl hattet, einen Unter­schied gemacht zu haben?

Solche Momente gibt es eigentlich immer wieder, und sie sind auch sehr unter­schiedlich. Besonders eindrucksvoll ist es, wenn Schülerinnen ihr Sprach­zertifikat erreichen. Wenn sie uns dann erzählen, dass sie aufgrund dessen eine Ausbildung beginnen oder sogar die deutsche Staats­bürgerschaft beantragen wollen, wird einem direkt vor Augen geführt, wie viel die Arbeit wirklich verändert. Es zeigt, wie das, was wir investieren, auch zurückkommt – sowohl für die Frauen selbst als auch für ihre Zukunft.

Aber es sind auch die kleinen, oft unscheinbaren Dinge, die einen Unter­schied machen. Zum Beispiel, wenn eine Schülerin stolz erzählt, dass sie einen Brief vom Amt jetzt allein lesen konnte, ohne um Hilfe bitten zu müssen. Oder in der Kinderbeaufsichtigung, wenn ein kleines Mädchen das erste Mal Roller fährt und „Achtung!“ ruft – ein Wort, das sie vorher noch nie gesagt hat. Gerade für viele Kinder ist es oft der erste Kontakt mit der deutschen Sprache und mit anderen Kindern, was solche Momente besonders wertvoll macht.

Ein weiteres Beispiel war ein Sommerfest, das wir 2023 auf der BUGA in Mannheim gefeiert haben. Es waren fast 100 Leute da – Schülerinnen mit ihren Kindern und Familien, aber auch Ehrenamtliche mit ihren Partnern und Freunden. Jeder hat etwas zu essen mitgebracht, die Kinder haben auf dem Spielplatz gespielt. Für viele Frauen, die sich solche Veranstaltungen sonst nicht leisten könnten, war es eine wunderbare Möglichkeit, an einer kulturellen Veranstaltung teilzunehmen. Solche Erlebnisse sind für uns besonders wertvoll und zeigen, wie unser Engagement auch den Zugang zu solchen Erfahrungen ermöglicht. Aber grundsätzlich sehen wir solche positiven Veränderungen schon im Alltag der Initiative, was uns immer wieder motiviert.

Was zeichnet die Atmosphäre innerhalb eurer Initiative aus?

Die Atmosphäre bei uns ist sehr freundlich und einladend. Wir legen großen Wert darauf, dass sich jeder willkommen fühlt. Die Hilfsbereitschaft ist ein großes Merkmal – wenn man ein Problem hat, weiß man immer genau, an wen man sich wenden kann und wie man Unter­stützung bekommt. Wir finden in der Regel schnell Lösungen, wenn mal etwas nicht läuft, und sprechen offen darüber.

Ein weiteres wichtiges Element sind die regelmäßigen Meetings und Austauschformate in den verschiedenen Teams und Leitungs­ebenen, bei denen alle auf dem gleichen Stand bleiben und informiert sind, was in der Initiative passiert.

Zusätzlich organisieren wir regelmäßig Treffen für die Ehrenamtlichen, um den persönlichen Austausch zu fördern. Einmal im Monat oder alle paar Monate machen wir zum Beispiel ein gemeinsames Event, sei es ein Kneipenquiz, Lasertag oder Volleyballspielen. Diese Events bieten eine gute Gelegenheit, sich auch außerhalb der Arbeit zu begegnen und besser kennenzulernen. So wird die Atmosphäre nicht nur von der Pflicht bestimmt, sondern auch von einem persönlichen Miteinander, das uns als Team stärker macht.

Wie können Interessierte am besten Teil eurer Initiative werden?

Am besten ist es, wenn sich Interessierte per E-Mail an uns wenden, idealerweise an organisationmail-muettersprache.de. Dort bekommt man schnell eine Rückmeldung und kann einen Termin für eine Hospitation vereinbaren. Wir haben auch eine Website, auf der es ein Kontaktformular gibt, über das man sich ebenfalls melden kann. Zusätzlich gibt es unseren Instagram-Account Muettersprache, auf dem man regelmäßig Einblicke in die Initiative bekommt – das hilft, einen ersten Eindruck zu gewinnen, falls man noch unsicher ist, ob es etwas für einen ist.

Außerdem veranstalten wir jedes Semester einen Kick-off, bei dem Interessierte vorbeikommen können, um mehr zu erfahren und sich zu informieren. Aber auch während des Semesters kann man jederzeit Kontakt zu uns aufnehmen. Für das Onboarding gibt es ein Gespräch, bei dem wir alles Wichtige erklären. Wenn man sich für ein spezielles Team interessiert, kann man auch mit der jeweiligen Leitung sprechen, um mehr über die Aufgaben und Anforderungen zu erfahren. Für die Bereiche Lehre und Kinderbeaufsichtigung ist es vorgesehen, dass man zuerst vor Ort hospitiert, um einen besseren Eindruck vom Ablauf zu bekommen und dann zu entscheiden, ob es für einen passt.

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