DE / EN

ExpertIn oder Laberbacke – wer hat mehr Einfluss?

- Stefanie Beck –

Beim Erinnern von Informationen beeinflussen uns Personen, die viel reden, mehr als Personen, die sich tatsächlich auskennen.

Vor Gericht unter­liegen wir der Wahrheits­pflicht. Aber können wir uns wirklich sicher sein, die Wahrheit zu sagen? Können wir unseren Erinnerungen trauen? Nicht immer – denn sie spiegeln nicht zwangs­läufig wider, was tatsächlich geschehen ist. So kann zum Beispiel der Austausch von Informationen in einer Gruppe unsere Erinnerungen verzerren. Informationen, die ein/e andere/r beisteuert, von denen man selbst aber zuvor nichts wusste, können später nicht mehr von der eigenen Erinnerung an eine Situation getrennt werden und dadurch zu verfälschten Erinnerungen führen. Dieses 'Infizieren' der Erinnerung mit fremden Inhalten nennt man 'soziale Ansteckung'.

Welche Personen beeinflussen unser Gedächtnis am stärksten? Psychologische Forschung zeigt, dass sowohl Personen, die besonders viel reden, als auch Personen, die sich auf einem Gebiet auskennen, großen Einfluss auf uns haben. Sogenannte 'Wortführer' bringen viele Informationen ins Gespräch ein und lenken dadurch die Aufmerksamkeit auf sich. ExpertInnen hingegen wirken kompetent und beeinflussen so, woran wir uns erinnern. Beide Phänomene sind jedoch schwer voneinander zu trennen, da es nicht selten ExpertInnen sind, die häufiger das Wort ergreifen und so zum Wortführer werden.

Die New Yorker Psychologen Adam Brown, Alin Coman und William Hirst fragten sich, wer den größeren Einfluss hat: WortführerInnen oder ExpertInnen? Um das herauszufinden, teilten sie in ihrer Studie die ProbandInnen in Klein­gruppen ein. Jede Gruppe bildete ein fiktives Einstellungs­komitee. Den Teilnehmenden wurde fälschlicherweise vermittelt, dass jeweils ein Gruppen­mitglied, welches zufällig bestimmt wurde, ExpertIn auf diesem Gebiet sei und besondere Fach­kenntnisse habe. Alle ProbandInnen lasen den Lebens­lauf eines fiktiven Bewerbers und sollten sich die Inhalte einprägen. Was die ProbandInnen nicht wussten: Sie bekamen nicht dieselben Informationen, Teile des Lebens­laufs waren verschieden. Später traf sich jedes Komitee, um die Inhalte des Lebens­laufes gemeinsam möglichst vollständig zusammenzutragen. Anhand des Redeanteils in der Gruppe wurden WortführerInnen bestimmt. Diese waren manchmal gleich­zeitig die ernannten ExpertInnen, meistens aber andere Gruppen­mitglieder. Nach der Gruppen­phase sollte jedes Mitglied noch einmal angeben, an welche Informationen aus dem ursprünglich gelesenen Lebens­lauf er/sie sich erinnerte. Dabei zeigte sich, dass fälschlicherweise auch Inhalte aus der Gruppen­diskussion wiedergegeben wurden, die nicht Teil des gelesenen Lebens­laufs waren. Im Vergleich zu den ExpertInnen waren die Äußerungen der WortführerInnen besonders 'ansteckend' und wurden von den ProbandInnen häufiger in die eigene Erinnerung übernommen.

Wie steht es nun also mit dem Vertrauen in die eigene Gedächtnisleistung? Unsere Erinnerungen können beeinflusst werden. Dabei übernehmen wir Information von Personen, die viel reden, stärker als die von Fach­frauen oder –männern. Eine Schwäche des Gehirns? Die Strategie ist in vielen Fällen durchaus zielführend, da Wortführerschaft und Expertise oft miteinander einhergehen, wirkliche Fach­kenntnis aber schwer zu identifizieren ist.

Brown, A., Coman, A., & Hirst, W. (2009). The Role of Narrator­ship and Expertise in Social Remembering. Social Psychology, 40 (3), 119–129.

© Forschung erleben 2010, alle Rechte vorbehalten

Zurück