Corona und wir – von Solidarität, Vertrauen und den Schwächen des Hochschulsystems

In einem Gastbeitrag für den „Spiegel“ hat Jutta Allmendinger, eine der renommiertesten SoziologInnen Deutschlands, Alumna der Universität Mannheim und Mitglied in unserem Universitätsrat, jüngst davon geschrieben, wie stark sich in der Corona-Krise die Solidarität zwischen den verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft zeige: gegenüber den Menschen in den systemrelevanten Berufsgruppen, zwischen Jungen und Alten, zwischen den „digital natives“ und denen, denen moderne Technik im Alltag (bisher) sehr fern war.
Eine solche Solidarität nehme ich auch an der Universität wahr: In den netten Mails meiner Studierenden, die danach fragen, wie es mir und meinen Kindern in dieser Situation geht – und die stets Verständnis dafür haben, wenn es jetzt nicht so schnell geht wie sonst, beispielsweise mit der Korrektur der Hausarbeiten. Die nicht grummeln, wenn ich momentan auf viele Fragen keine Antworten habe. Oder in der Freude einer Kollegin, als die erste DHL-Lieferung mit Büchern aus der UB bei ihr eintraf (ich war gerade am Telefon und konnte den Jubel hören!), aber genauso in meiner eigenen Dankbarkeit über das schlichte Funktionieren von Arbeitsabläufen, die wir bisher immer für selbstverständlich gehalten haben (wie die Einstellung zweier HiWis zum 01. April). Wir schaffen das zusammen – danke an Sie und Euch alle, in der Universitäts-IT, der UB, der Verwaltung und den Fakultäten!
Solidarität, so schreibt Allmendinger weiter, funktioniere allerdings nicht dauerhaft, sie „leiert schnell aus“ – was wir brauchen, ist deshalb auch das Vertrauen in unsere Institutionen. Zu Vertrauen gehört aber die Erwartung, dass das eigene Engagement in dieser Zeit nicht vergessen wird, dass man nicht am Ende doppelt „draufzahlt“. Je näher nun die langsame Lockerung der Maßnahmen rückt, desto mehr muss dieses Vertrauen durch Signale der Anerkennung aufrechterhalten werden. Das gilt zum Beispiel für die Doktorandin, die ihre Studis nicht im Stich lassen möchte und ihr Seminar komplett auf einen gut durchdachten Online-Kurs umstellt – obwohl sie dafür weit mehr Zeit aufwenden muss als die 2,86 Stunden, die ihr laut Dienstaufgabenbeschreibung dafür pro Woche angerechnet werden.
Sie braucht im nächsten Jahr nicht nur die Verlängerung ihres Vertrags, sondern vor allem Zeit, die Arbeit an ihrer Doktorarbeit nachzuholen, die ihr jetzt fehlt. Möglich wäre das beispielsweise durch eine Deputatsreduktion im nächsten oder übernächsten Semester.
Und da ist auch der (nicht-wissenschaftliche) befristet Beschäftigte in der zentralen Einrichtung, auf dessen Arbeit und Expertise jetzt viele angewiesen sind, weil er das nötige Wissen zur Digitalisierung mitbringt – und der sich gerade ein Bein ausreißt, damit alles laufen kann. Diese Arbeit muss anerkannt werden, Entfristungen dürfen hier kein Tabu sein. Es lassen sich aus allen Bereichen der Universität zahlreiche weitere Beispiele anführen, in denen das herausragende Engagement der Kolleginnen und Kollegen mit einem Vertrauensvorschuss an Uni-Leitung und Politik einhergeht, der am Ende nicht enttäuscht werden darf.
Und das bedeutet zugleich, über die strukturellen Probleme zu sprechen, die uns seit Jahren beschäftigen und die jetzt im Zuge der Krise nochmal verstärkt in den Fokus rücken: die problematische Befristungspraxis natürlich, die grundsätzlich ungerechte Anrechnung von Lehrdeputat fast ausschließlich anhand der Zahl der Semesterstunden (und nicht anhand der tatsächlich nötigen Arbeit für Vor- und Nachbereitung, Prüfungen, Sprechstunden etc.), die strukturelle Benachteiligung von Frauen und Familien – und die dringend notwendige, flächendeckende Schulung von Führungskräften: Ich kenne Kolleginnen und Kollegen, die seit Beginn der Krise noch keine einzige Mail von ihrem direkt vorgesetzten Lehrstuhlinhaber bzw. ihrer Lehrstuhlinhaberin dazu bekommen haben, wie sie ihre Arbeit in dieser Zeit ausüben können und sollen.
Gerade jetzt sehen wir klar, dass sich Investitionen in gute Lehre, in Fortbildung, in Gleichstellung lohnen. Und wie wichtig gute Führung ist. Das dürfen wir nicht vergessen, wenn der Alltag wieder anläuft. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben vorgelegt – bald ist es an der Zeit für Politik und Vorgesetzte, diesen „Schuldenberg des Vertrauens“, von dem Jutta Allmendinger spricht, wieder abzubauen.