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Digital gestütztes Lernen: Selbstreguliertes Lernen in der Hochschule

Studierende sind zu Beginn ihres Studiums nicht gut darauf vorbereitet, selbstständig Lerninhalte zu vertiefen und große Stoffmengen für Prüfungen zu bewältigen. In einer großen Erstsemestervorlesung (Lehr­amt) bieten wir daher seit mehreren Jahren ein digitales Tutoring­system an („CoTutor“) und entwickeln es beständig weiter. Wir wollen damit einerseits unser Lehr­angebot verbessern und wichtige Studien­kompetenzen im ersten Semester aufbauen. Die Studierenden­gruppe ist besonders heterogen. Andererseits erforschen wir in einem realen Lernkontext die Nutzung und Lernwirksamkeit dieses digitalen Tutoring-Angebots. Hierbei arbeiten wir auch mit den Entwicklern der Software zusammen und implementieren Funktionen auf Basis lernpsychologischer Prinzipien und Er­kenntnisse. Mit den digitalen Lernprozess­daten aus dem System können wir Lernen sichtbar machen.

Da wir auch wenig sinnvolle Nutzungen beobachten (z. B. massives Lernen kurz vor der Klausur, offenkundiges Raten und Wiederholen), klären wir ausführlich über sinnvolle Strategien des selbstregulierten Lernens auf.

Unser Fokus liegt dabei darauf, die Studierenden bei Verständnisvertiefung und Klausurvorbereitung zu unter­stützen. Verständnisvertiefung bedeutet, dass Studierende beim Lernen und Erarbeiten Inhalte verknüpften, Argumente nachvollziehen, Belege bewerten, Beispiele finden und Anwendungs­bezüge herstellen. (Diese Art der Erarbeitung geht auch über das hinaus, was im Lehr­buchkapitel steht.) Die Studierenden sollen dies aktiv selbst leisten, sind aber mangels Strategien, Vor­kenntnissen (oder Motivation) dazu nicht in der Lage. Deswegen erscheinen Argumente, Belege, Anwendungen und Verknüpfungen (auch falsche) als Antwortalternativen in Multiple-Choice-Fragen, über die nachgedacht werden soll. Ist die Antwort falsch gewählt, erscheint ein ausführlicher Erklärtext als Rückmeldung und Lerngelegenheit. In einem eigenen, überwachten Lernmodus werden außerdem die genannten Lerntechniken explizit eingeführt, vermittelt und geübt. Hier schreiben die Studierenden freie Antworten, um eigene Über­legungen zu generieren.

Klausurvorbereitung bedeutet, dass Studierende dabei unter­stützt werden, Inhalte zuverlässig aus dem Langzeitgedächtnis abrufen zu können. Auf Basis ihrer eigenen Lernhistorie werden daher Fragen erneut gezogen und wiederholt beantwortet („Retrieval Practice“, „Kärtchen­system“).

Für uns besonders interessant ist die tatsächliche, lernwirksame Nutzung des Systems durch die Studierenden (also nicht „Aufruf“ oder „Quiz bearbeitet“ oder „Download von Lernmaterialien“.) Wir nutzen genaue Aufzeichnungen dazu, wann, in welchem Umfang und mit welchem Erfolg Lernfragen im System über die gesamte Semester- und Klausurvorbereitungs­zeit beantwortet wurden. In allen Jahren werden Lernerfolg (Klausurleistung) und Lern­voraussetzungen (Abitur­note, selbstberichtete Strategien des selbstregulierten Lernens) mit den digitalen Lernprozess­daten verknüpft (mit Zustimmung der Studierenden). Wir können daher etwas zum Zusammenhang von individuellen Voraussetzungen, Nutzung und Wirkung erfahren und forschen dazu, welche Art der Unter­stützung für welche Studierenden zu Beginn des Studiums am wirksamsten ist.

Weitere Forschung bezieht sich auf metakognitive Einschätzungen während des Lernens (sog. Judgments of Learning und wahrgenommene mentale Anstrengung) und deren Validität und Wirkung auf späteren Klausurerfolg. Auch führen wir Experimente zur Vermittlung elaborativer Lerntechniken durch.

Ansprech­partner: Prof. Dr. Stefan Münzer, Samuel Wissel, Hatice Dedetas

Ausgewählte wissenschaft­liche Texte zum Thema

Wissel, Janson, Ingendahl, Undorf & Münzer (in preparation). Item-by-Item Judgments of Learning Predict Learning Success in Higher Education.

Janson, Wissel, Schäfer & Undorf (under review). Judgments of learning in the wild – Establishing Ecological Validity with an Intelligent Tutoring System in a Field Study