In diesen beiden logisch eng verwandten Forschungsgebieten wird untersucht, wie wir Objekte oder Handlungsoptionen beurteilen, was wiederum die Grundlage für eine Entscheidung zwischen ihnen sein kann. Meine Schätzung darüber, wie der Geschmack zweier Gerichte sowie deren relativer Kaloriengehalt ist, kann beispielsweise meine Entscheidung zwischen ihnen bestimmen. Interessant ist die Frage insbesondere dann, wenn manche Informationen sich widersprechen und zwischen verschiedenen Attributen abgewogen werden muss. Während die frühe Entscheidungsforschung insbesondere an Abweichungen von „optimalen“ Modellen interessiert war, interessiert man sich heute (auch in unserer Arbeitsgruppe) eher für die kognitiven Prozesse, die ein Urteil oder eine Entscheidung ermöglichen (s. Bröder & Hilbig, 2017).
Eine Fülle von Arbeiten zeigt inzwischen, dass Personen nicht nach einem starren Schema entscheiden, sondern dass sie je nach Kontextfaktoren unterschiedliche Strategien anzuwenden scheinen. So führen zum Beispiel Zeitdruck, erhöhte Informationskosten oder die Notwendigkeit, Informationen aus dem Gedächtnis abzurufen, häufig zur Verwendung informationssparender Heuristiken, während man ohne diese Einschränkungen eher zum ausgiebigen Abwägen von Informationen neigt (z.B. Bröder, 2003; Bröder & Schiffer, 2003; Platzer & Bröder, 2012).
Eine ungeklärte Frage bzw. aktuelle Kontroverse dreht sich um die Frage, ob sich dieses adaptive Entscheiden tatsächlich als Wechsel zwischen verschiedenen Strategien erklären lässt, oder ob stattdessen ein einheitlicher Entscheidungsprozess am Werk ist, der aber an verschiedene Situationen angepasst werden kann (Marewski et al., 2018). Solche flexiblen Universalmechanismen haben sich in manchen Situationen als bessere Beschreibungen des Entscheidungsprozesses erwiesen als Modelle, die qualitativ unterschiedliche Strategien annehmen (Glöckner & Bröder, 2011; 2014; Söllner & Bröder, 2016). Allerdings scheint es auch Situationen zu geben, in denen Modelle mit multiplen Strategien angemessener sind (Söllner et al., 2013).
Eines der „Universalmodelle“ des Entscheidens nimmt an, dass Entscheidungen durch eine Maximierung von Kohärenz erreicht wird, die gestaltpsychologischen Prozessen ähnlich ist. Dies lässt sich mathematisch formalisieren in einem Netzwerkmodell mit Aktivationsausbreitung. Das Modell wurde kürzlich auch auf die Informationssuche erweitert und lieferte neuartige Vorhersagen über die Sequenz, in der Menschen Information über das Entscheidungsproblem suchen (Jekel et al., 2018). Die Vorhersagen haben sich robust für verschiedene Kontexte bestätigen lassen und stellen insbesondere die Annahme über die Informationssuche bei heuristischem Entscheiden infrage (Scharf et al., 2019).
Insbesondere in Situationen, in denen es schwierig ist, eine sinnvolle Regel zur strategischen Integration von Attributen zu generieren, scheinen Menschen gelegentlich aufgrund der Ähnlichkeit aktueller Entscheidungssituationen zu früheren Situationen zu entscheiden, ein Prozess, der als exemplarbasiertes Urteilen benannt wurde. Tatsächlich lassen sich Situationen identifizieren, in denen solche ähnlichkeitsbasierten Strategien zum Einsatz kommen (Bröder et al., 2010; Platzer & Bröder, 2013), und es deutet sich an, dass Menschen eventuell sowohl regelbasierte als auch ähnlichkeitsbasierte Prozesse simultan verwenden (Bröder, Gräf & Kieslich, 2017; Izydorczyk & Bröder, 2023). Neue Simulationen zeigen, dass die Modellierung exemplarbasierter Prozesse in der Urteilsforschung bislang eine wichtige Unterscheidung übersehen hat, deren Berücksichtigung zu besseren Schätzungen von Modellparametern führt (Izydorczyk & Bröder, 2021).