Die Forschung unserer Arbeitsgruppe zielt auf Antwortprozesse bei Selbsteinschätzungen und Leistungsmessungen in der psychologischen Diagnostik sowie auf kognitive Prozesse im menschlichen Gedächtnis und bei Urteilen und Entscheidungen im Bereich der experimentellen Psychologie. Der gemeinsame Fokus unserer Forschungsprojekte ist die statistische Modellierung psychologischer Prozesse mit psychometrischen, diskret-stochastischen und multivariaten Methoden.
Selbsteinschätzungen in Fragebogen mit einem abgestuften Rating-Antwortformat werden verbreitet zur Erfassung individueller Unterschiede eingesetzt, etwa in der Persönlichkeitsdiagnostik, in der sozialen Kognitions- und Einstellungsforschung und im klinischen Bereich. Es ist jedoch bekannt, dass beobachteten Rating-Antworten multiple Antwortprozesse zugrunde liegen, die neben den zu erfassenden Merkmalen auch generelle Antwortstile, soziale Erwünschtheit und Interaktionen zwischen Itemformulierungen und Personcharakteristika umfassen. Zur Trennung der angezielten Personmerkmale von potentiell verzerrenden weiteren Antwortprozessen können latente Variablenmodelle der Item Response-Theorie oder der Strukturgleichungsmodelle genutzt werden. In unserer Forschung entwickeln wir diese psychometrischen Modelle weiter, prüfen die statistischen Eigenschaften und die psychologische Validität der Modellkomponenten und Parameter, und wenden die Modelle auf Daten aus unterschiedlichen Bereichen der psychologischen Forschung an.
Bei der Messung von Personeigenschaften mit Hilfe von Fragebogen oder Leistungstests wird generell angenommen, dass die strukturellen Merkmale der Items und die Parameter der psychometrischen Modelle konstant für alle Personen sind. Diese Annahme schließt zum Beispiel ein, dass die Items für alle Testandinnen und Testanden dieselbe Schwierigkeit haben und dass die relative Gewichtung der beteiligten Antwortprozesse für alle Personen identisch ist. Eine Verletzung der Annahme führt dazu, dass die Validität der Messung eingeschränkt und die Fairness von Personvergleichen gefährdet ist. In unserer Forschung erweitern wir psychometrische Modelle, so dass eine Heterogenität von Itemcharakteristika und Antwortprozessen über Personen identifiziert und bei der Analyse berücksichtigt werden kann. Hierzu verwenden wir Mischverteilungsmodelle und modellbasierte Partitionsverfahren für mehrdimensionale psychometrische Entscheidungsmodelle, um Quellen von Heterogenität zu untersuchen und die Erfassung psychologischer Eigenschaften maßgeschneidert zu optimieren.
Das menschliche episodische Gedächtnis umfasst die Enkodierung, die Speicherung und den Abruf von Ereignissen und von dazugehörigen Kontextinformationen, wie etwa Informationen über den zeitlichen und örtlichen Kontext des Ereignisses oder über den subjektiven Zustand während des Erlebens. Die gemeinsame Enkodierung und Speicherung von Ereignis- und Kontextinformationen ermöglicht eine verbundene Gedächtnisrepräsentation und episodische Erinnerung. Für den Abruf und die Wiedergabe episodischer Erinnerungen sind neben den genuinen Gedächtnisprozessen auch metakognitive Prozesse und rekonstruktive Inferenzen relevant. In unserer Forschung analysieren wir die episodische Gedächtnisrepräsentation sowie die Abruf- und Entscheidungsprozesse mit Hilfe experimenteller Designs und statistischer Modelle. Dabei kommen multinomiale Verarbeitungsmodelle für die Trennung von Gedächtnis- und rekonstruktiven Entscheidungsprozessen zum Einsatz sowie generalisierte Mehrebenen-Modelle für die Analyse dynamischer kognitiver Prozesse auf Ereignis-Ebene.
Für die Urteilsbildung und Entscheidungsfindung spielen gelernte Kontingenzen eine essenzielle Rolle, etwa Kontingenzen zwischen sozialen Gruppen und Verhaltensweisen bei der Stereotypenbildung oder Kontingenzen zwischen Optionen und resultierenden Ergebnissen bei Entscheidungen. Kontingenzen, die aus Informationen der sozialen Umwelt induktiv erschlossen werden, können jedoch verzerrt oder falsch sein. So können die Informationen etwa aus selektiven Stichproben stammen oder nur eingeschränkte Validität für das zu treffende Urteil haben, und Personen können relevante Moderatorvariablen bei der Urteils- und Entscheidungsfindung übersehen. Zusätzlich können Urteile und Entscheidungen durch Heuristiken beeinflusst werden, wie etwa durch die Verwendung der erlebten Verarbeitungsflüssigkeit für Wahrheits- oder Vertrautheitsurteile von Aussagen und Ereignissen. In unserer Forschung werden unterschiedliche experimentelle Paradigmen verwendet, um mögliche Verzerrungen bei Urteilen und Entscheidungen aufgrund induktiver Kontingenzen und Heuristiken zu untersuchen. Mit Hilfe der Paradigmen und statistischer Modelle der Datenanalyse werden die zugrundeliegenden Prozesse sowie individuelle Differenzen in den Urteils- und Entscheidungseffekten analysiert.
Interessierte Besucher*innen sind herzlich eingeladen, an unserem Forschungskolloquium teilzunehmen. Die Termine und Inhalte des Kolloquiums werden kontinuierlich aktualisiert und sind hier zu finden.